claim von gute-banken

Der Neue Markt kommt zurück. Er heißt nur anders. Warum eigentlich?

Es ist doch immer wieder erstaunlich: Manche Ideen leben sogar dann weiter, wenn sie offiziell schon lange beerdigt sind. Das war wenigstens unsere erste Reaktion auf eine Meldung, die am 21.11.16 durch die Gazetten zu geistern begann. So titelte z.B. NTV.de süffisant und durchaus korrekt:  „Betätigungsfeld für Börsianer: Deutsche Börse schafft neuen Markt“.…

Ehe wir das Ganze mal auf seinen Kern zurückführen, hier ein paar Informationen zur Planung dieses neuen, alten Börsensegments. Hier ist eine kurze Druckbetankung mit Informationen:

Auffrischung zum Hintergrund:

Die Idee, an der Börse ein Segment für kleine und mittlere Unternehmen – nicht zuletzt auch Startups etc – zu schaffen, ist bekanntlich nicht gerade neu.

Man wird sich erinnern: Um die Jahrtausendwende hieß dieses Segment „Neuer Markt“ – und wurde 2003 mit Pauken und Trompeten geschlossen, weil dort zuviel Geld verbrannt worden war und man es wegen des damaligen Börsenüberschwanges mit der Informationspflicht der gehandelten Jung-Unternehmen nicht so genau nahm.

Nun soll aber alles anders werden. Beziehungsweise ist schon seit geraumer Zeit manches anders:

Seit 2005 gab es dann im von der Börse selbst regulierten „Freiverkehr“ den sogenannten Entry Standard, der es den Unternehmen ermöglichen sollte, mit relativ geringem Aufwand (die echte Börsenzulassung eines Wertes erfordert tatsächlich einen deutlich höheren Berichts-Aufwand), sich mit Geld aus den Kapitalmärkten zu versorgen. Dort waren laut der Deutschen Börse zum 1.11.16 insgesamt 141 Unternehmen gelistet.

Ab März 2017 sollten nun, so heißt es, etwa 40 der dieser Unternehmen aus dem Entry Standard in dem neuen Segment notiert sein werden – das noch keinen Namen hat, aber ganz sicher nicht „Neuer Markt“ heißen wird.

Die neuen Regeln

Und die sollten nun aber schon strengere Regeln einhalten, um durch die Tür zur neuen noch namenlosen Börse für KMU zu kommen. In den Artikeln, die wir gelesen haben, ist von ingesamt fünf Zulassungsvoraussetzungen die Rede – von denen aber immer nur drei genannt werden. Ein zulassungsreifes Unternehmen muss demnach „mindestens drei von fünf Kriterien erfüllen. Zu diesen zählen etwa laut ntv.de, dass die Firmen

- mindestens 20 Mitarbeiter,

 - ein positives Eigenkapital

- und mindestens zehn Millionen Euro Jahresumsatz haben sollten.“

Das klingt ja wirklich total kritisch! Bei genauerer Betrachtung klingt es allerdings schon auch ein wenig seltsam.

Nehmen wir einmal an, da wäre also so ein kleines Unternehmen mit 20 Mitarbeitern. Dieses Unternehmen müsste also einen Jahresumsatz von mindestens 10 Millionen Euro erwirtschaften. Das wäre dann in diesem Fall eine Produktivität von 500.000 Euro pro Mitarbeiter und Jahr.  Nur zur Info: Laut statista.de lag die durchschnittliche Produktivität - Umsatz je Vollzeitäquivalent – pro Jahr in Westdeutschland bei 206.000 Euro.  Und da muss Oma schon lange dafür stricken. Naja, sei es, wie es sei. Und das sind ja nur Untergrenzen…

Die Begründung(en)

"Der Kapitalbedarf von kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland und Europa ist deutlich gestiegen", so wird Carsten Kengeter, Ex-Bänker mit einer besonderen Vita (darüber hatten wir schon einmal berichtet)  und seit 2014 Chef der Deutschen Börse AG, zitiert. Auf welchen Zahlen diese Feststellung basiert, steht nicht dabei.

Eine ähnliche Formulierung verwendete auch die EU schon 2010 in ihrer Pressemeldung „Europäische Kommission will Stärkung des Binnenmarkts durch Wirtschaftswachstum und den Ausbau der Rechte der Bürger bessern“ (27.10.10):

„KMU haben es oft schwer, notwendige Finanzmittel zu finden. Die kleineren europäischen Unternehmen werden von potenziellen Investoren kaum wahrgenommen, und die Voraussetzungen für die Börsennotierung sind komplex. Die Kommission wird vorschlagen, dies zu ändern, die KMU durch die Vereinfachung der Rechnungslegungsvorschriften finanziell zu entlasten und ihnen einen besseren Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu verschaffen.“

Löblich ist der Gedanke ja. Allerdings findet man auch hier keine detaillierten Daten darüber, dass Unternehmen wirklich einen Finanzierungsstau haben und wie groß dieser Stau ist. Egal.

Die Vorlage

Allerdings ist der Plan, die Finanzierung des Mittelstandes von den Banken auf die Kapitalmärkte zu übertragen. Diesen Plan hatte die EU in ihrem vom 18.2.15 datierenden Grünbuch der EU-Kommission „zur Schaffung einer Kapitalmarktunion“, über das wir auch schon berichtet hatten, noch weiter verdichtete. Dort liest man:

„Im Wesentlichen besteht unsere Aufgabe darin, zwischen Anlegern und Sparern und dem Wachstum eine Verbindung herzustellen.“

Das Ziel dieses Papiers ist es, für Europa neue Wege zu finden, mit denen stärkere Kapitalmärkte die Banken als Finanzierungsquelle „ergänzen“ und so

–  mehr Investitionen für Unternehmen, insbesondere KMU (kleine und mittlere Unternehmen, und für Infrastrukturprojekte mobilisieren

–  mehr Investitionen von außerhalb in die EU lenken

–  dazu beitragen, das Finanzsystem durch die Erschließung einer breiteren Palette an Finanzierungsquellen zu stabilisieren.

Die Begründung für diesen Bedarf liest sich im Grünbuch aber anders:

„Um auf Dauer zu mehr Wachstum und Beschäftigung zurückzukehren, ist es neben weiteren Reformen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erforderlich, dass die Kapitalmärkte verstärkt dazu beitragen, Finanzierungsmittel in die Wirtschaft zu lenken.“

Wir hatten das  2011 angesichts des europäischen Single Market Acts schon einmal großzügig übersetzt:

Das in Hülle und Fülle in „den Märkten“ vorhandene Kapital sollte halt endlich mal gesellschaftlichen Zwecken dienen können.

Die Frage, die wir uns schon damals stellten, stellen wir uns auch heute: Ob das mit diesen Märkten und ihren Denkweisen funktionieren könnte? Allerdings hatten wir über diese Problematik auch schon verschiedentlich geschrieben

Fazit:

So das war nun also die Druckbetankung zu diesem neuen, alten Thema. Unterm Strich läuft das also worauf hinaus? Naja, wenn man mal bedenkt, dass wir hier von einer Initiative der Deutschen Börse für deutsche Unternehmen sprechen, sollte klar sein:

Wenn, was wir nicht glauben, diese neue Börse für KMU (oder englisch SME – small and medium enterprises) sich tatsächlich in großem Stil durchsetzen würde, ginge das zu Lasten der regionalen Banken. Und die haben derzeit bekanntich ohnehin nicht sehr viel Freude am zinsorientierten Kreditgeschäft. Der Niedrigzins ist  ja sinnigerweise eine der Folgen der von den Kapitalmärkten induzierten Krisen.

Aber eines sollte klar sein: Für die Finanzierung von KMU haben sich die großen Player nie ernsthaft interessiert. Und ob man sich als mittelständischer Unternehmer tatsächlich einer Konstruktion anvertrauen will, die in den letzten beiden Jahrzehnten mehrfach kollabiert ist? Das wird wohl die entscheidende Frage. Aber vielleicht ist dieses neue Projekt ja doch nur das, was ntv.de  so herrlich süffisant in seiner Überschrift sagt:

„Ein Betätigungsfeld für Börsianer.“

Bisher kann man sagen: Was wäre zum Beispiel in Deutschland geschehen, wenn wir nicht das dreigliedrige Bankensystem aus Sparkassen, Genossenschaftsbanken und eben Privatbanken hätten? Nein, das wäre sicher nicht besonders lustig gewesen.

Denn der Hebel und der Aufwand, den man als Bank mit mittelständischen Unternehmen hat, ist für Großbanken zu klein. Dazu braucht es schon regional orientierte Banken – eben Sparkassen und Genossenschaftsbanken.

Und das ist auch gut so!

P.S.: Übrigens veröffentlichte die Deutsche Bundesbank am selben Tag wie die Deutsche Börse (21.11.16) ihr Diskussionspapier No 45/2016 zur Kreditausfallwahrscheinlichkeit von KMU. Ergebnis mal ganz grob gesprochen: Kredite für KMU in Deutschland und Frankreich fallen statistisch gesehen sehr selten aus. …

 

 

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