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Der Finanzmarkt, Deutschland und die Gier als Handlungsstruktur.

Der Finanzmarkt, Deutschland und die Gier als Handlungsstruktur.

Acht Fragen an den Soziologen Sighard Neckel.

 

 

Professor Dr. Sighard Neckel ist deutscher Soziologe und Universitätsprofessor für Allgemeine Soziologie und Analyse der Gegenwartsgesellschaft an der Universität Wien. Zugleich ist er Mitglied der Leitung des renommierten Instituts für Sozialforschung in Frankfurt a.M.. Der studierte Soziologe, Rechtswissenschaftler und Philosoph beschäftigt sich mit Wirtschafts- und Kultursoziologie, der Soziologie der Emotionen, Politischer Soziologie und Ungleichheitsforschung. Zur Finanzkrise brachte er neben dem im Jahr 2010 bei Suhrkamp verlegten Buch „Strukturierte Verantwortungslosigkeit. Berichte aus der Bankenwelt“ den kürzlich erschienen Artikel „Der Gefühlskapitalismus der Banken: Vom Ende der Gier als ‚ruhiger Leidenschaft’“ heraus. Angeregt von seiner Arbeit trafen wir uns mit ihm zum Interview:

 

 

Herr Professor Neckel, wir haben unsere zum Teil sehr ähnliche, zum Teil methodisch andere Wahrnehmung dessen, was dem Kapitalmarkt, den Bankmitarbeitern und nicht zuletzt den Bankkunden in den letzten Jahren und Jahrzehnten widerfuhr, ja schon im Vorfeld zu diesem kleinen Mail-Interview mit viel Freude abgerieben. Deshalb kommen wir gleich zur ersten Frage:

 

In Ihrem kürzlich in Leviathan – Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft veröffentlichten und in der Tat sehr beeindruckenden Artikel „ Der Gefühlskapitalismus der Banken: Vom Ende der Gier als „ruhiger Leidenschaft“ befreien Sie den gern verwendeten Begriff der Gier - insbesondere „der Gier der Banker“ - von überflüssigem emotionalen Ballast und dechiffrieren ihn soziologisch als eine „Handlungsstruktur“. Könnten Sie für unsere Leser in wenigen Worten erläutern, was das bedeutet?

 

Gier, wirtschaftlich betrachtet das ständige und grenzenlose Bedürfnis nach höheren Renditen und größeren Gewinnen, verstehe ich nicht als eine Persönlichkeitseigenschaft von Bankern, die vermeintlich einen besonders schlechten Charakter haben sollen. Sondern als eine Systemeigenschaft der modernen Finanzmärkte. Es geht darum, dass hier eine ökonomische Logik vorherrscht, die auf der immerwährenden Steigerung von spekulativen Renditen beruht, ohne dass damit wirtschaftliche Ziele außerhalb der reinen Gewinnsteigerung selbst verfolgt werden würden.

 

 

Heißt das, dass die einzelnen Akteure der Krise durch das Freilegen der hinter ihrem Verhalten liegen Verhaltensmuster von ihrer Verantwortung nachträglich enthoben und entlastet sind?

 

Nein, selbstverständlich nicht. Jeder hat die Möglichkeit darüber zu entscheiden, ob man bei diesem Spiel der schnellen Gewinne und hohen Verluste mitmachen will. Nur wer sich für’s Mitmachen entscheidet, der muss den Regeln der Finanzmärkte folgen, will er erfolgreich sein. Und diese Regeln gebieten, allein das Ziel der finanziellen Gewinnsteigerung als solches zu verfolgen, egal zu welchem Zweck und mit welchen Mitteln. Gewissermaßen ein Perpetuum mobile von Renditen, bei dem es nicht darauf ankommt, bestimmte wirtschaftliche Ziele zu erreichen, sondern nur darauf, morgen höhere Gewinne als gestern zu erzielen.

 

 

Ein Markt ist ja immer nur der Ort, wo Angebot und Nachfrage zusammenkommen. Zu jedem Geschäft gehören ja immer zwei. Einer der verkauft und einer der kauft. Das gilt ja auch am Ende auch für den Kapitalmarkt und jedes Produkt, das dort durch die komplette Kette gehandelt wird. Muss man in diesem Sinne sagen: Alle Teilnehmer in diesem Markt folgten der selben Struktur, egal ob Investment Banker, Broker, Pensionsfonds – oder eben auch ganz normale Bankkunden wie Du und ich?

 

Ja, auch Bankkunden mögen von der Gier nach dem Geld um des Geldes willen getrieben sein – aber die meisten der durchschnittlichen Bankkunden können mit der Liquidität, die ihnen zur Verfügung steht, dabei nicht wirklich großen Schaden anrichten. Abgesehen davon, dass ganz normale Bankkunden auch vor der Finanzkrise häufig zwei Seelen in ihrer Brust gehabt haben: eine, die davon träumt, auch für den eigenen Einsatz einen Return von, sagen wir mal, 25 Prozent zu haben; und eine andere, die eher risikoavers ist, weil die begrenzten Mittel, über die man verfügt, das Spiel mit der Volatilität der Kurse nicht richtig zulässt. Wer wirklich spekulieren will, muss auch was zum Verlieren haben. Aber am wichtigsten ist bei dieser Frage: Ja, Kunden mögen gierig sein – doch viel gravierender ist es, wenn die Regeln eines ganzen Finanzsystems auf Gier aufgebaut sind. Dies schafft erst jene Anreize, durch welche Gier belohnt wird, was dann natürlich dazu führt, dass sich solche Antriebe bei den Akteuren gefördert werden und sich ausbreiten können.

 

 

Eine durchaus nicht von der Hand zu weisende Problematik ist ja der Umstand, dass die Politik sich vor und während der Krise gerne Berater aus der Bankenbranche holte. Ist das für Sie als Sozialforscher Ausdruck einer wissensbasierten kooperativen Gesellschaft – oder Ausdruck dafür, dass ggf. auch die Politik der von Ihnen erkannten Handlungsstruktur folgte?

 

Durch den Verzicht darauf, den Finanzmärkten wirksame Schranken zu setzen, hat die Politik ja selbst zu jenen Zuständen beigetragen, über die man sich nach der Finanzkrise dann lauthals beschwert hat. Und es ist bisweilen auch so gewesen, dass sich die Landesbanken, die ja politisch geführt werden, die Geschäftsmodelle des riskanten Investmentbanking selbst zum Vorbild genommen haben. Dies ist aber gerade kein Ausdruck einer „Wissenskooperation“ zwischen Politik und Finanzwirtschaft, sondern steht eher dafür, dass die Politik gegenüber den Maximen der Finanzmärkte weitgehend abgedankt hat.

 

 

Es ist ja nun auch so, dass der gemeine Politiker das Wissen schlicht nicht hat, um die hochkomplexen finanzmathematisch errechneten Konstruktionen der Produkte überhaupt noch erfassen zu können – geschweige denn sie zu durchdringen. Deshalb mag es ihm ja nach Expertenwissen verlangt haben. Wir erlauben uns die einfache Frage: Wäre die Krise ohne dieses Wissen und ohne den Glauben an die Macht der Finanzmathematik womöglich zu vermeiden gewesen?

 

Das sogenannte Expertenwissen hat vielfach dazu beigetragen, Kontrollillusionen noch dort zu erzeugen, wo es viel wichtiger gewesen, gewisse ökonomische Grundregeln nicht zu vergessen, etwa, dass es keine hohen Gewinne ohne hohes Risiko gibt. Die Finanzmathematik und auch die Finanzwissenschaft mit ihrem Theorem von den „rationalen Märkten“ haben aber den Eindruck erweckt, daß man endlich die Quadratur des Kreises risikoloser Höchstgewinne gefunden hätte. Dabei ist aber implizit bereits schon eingerechnet worden, dass am Ende und im Falle großer Verluste es externe Akteure geben würde, die für den ganzen Schaden aufkämen, nämlich der Staat und die Steuerzahler. Und so war es dann ja auch.

 

 

Für das von Ihnen herausgegebene Buch „Strukturierte Verantwortungslosigkeit“ wurde ja eine Vielzahl von Beteiligten und aktiven Akteuren der Krise befragt. Sie haben also viele ehrliche und sehr persönliche O-Töne direkt aus der Finanzmarktszene gehört. Bei der Lektüre wird man hie und da den Eindruck nicht los, als habe sich das eigene Wissen und die Logik, der man gefolgt war, in ein einfaches Gefühl von Schmerz und ggf. Bedauern verwandelt. Haben Sie das auch so wahrgenommen?

 

Teilweise schon. Doch hielt sich das Bedauern eigener Fehler etwa doch sehr in Grenzen. Am meisten weitverbreitet war die Haltung, die Fehler immer bei den anderen zu suchen, den Rating-Agenturen, den Amerikanern, bei den gierigen Kunden, für sich selbst aber keine Verantwortung für das Desaster auf den Finanzmärkten zu akzeptieren.

 

 

Vor, während und auch nach der Krise bewiesen ja die Frontleute des Kapitalmarkts – in Deutschland insbesondere Josef Ackermann – ihre Fähigkeit, alles, was sie tun und wollen, rhetorisch als logische Notwendigkeiten darzustellen. Die logischen Wenn-Dann-Verknüpfungen, auf denen die Rhetorik solcher Einlassungen basierte, erinnern stark an die Logik der Computerprogrammierung. Ist die scheinbare Unausweichlichkeit, die sich aus solchen logischen Verknüpfungen ergibt, Bestandteil dessen, was Sie Handlungsstruktur nennen?

 

Nicht unbedingt – die Logik solcher Computerprogrammierungen ergibt sich ja nicht aus sich selbst heraus, sondern wird als Zielvorgabe zunächst einmal von Akteuren definiert und in die technischen Systeme eingespeist. Mit dem Verweis auf die scheinbare Unausweichlichkeit finanztechnischer Systeme wollen sich die „Frontleute des Kapitalmarkts“, wie Sie es nennen, nur selbst aus der Verantwortung stehlen, indem auf vermeintliche Sachzwänge verwiesen wird, die man selbst allerdings erst einmal installiert haben muß.

 

 

Kommen wir zu einer letzten Frage, die uns naturgemäß nicht unwichtig ist: Wie Sie ja wissen, sprechen wir uns gerne und sehr explizit für Banken aus, die ihren Geschäftszweck und ihre Motivation eher in ihren Regionen – und eben nicht im Kapitalmarkt sehen und finden. Sprich Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Natürlich hat es auch bei diesen Banken Entgleisungen gegeben. Aber eben längst nicht in dem Ausmaß und auch nicht mit der rationalen Konsequenz wie bei den Großbanken. Ist regionale Verantwortung womöglich eine „ruhige Leidenschaft“ und ein gesundes „Gegenmittel“ gegen die Ansteckung mit der Gier als „gehetzte“ Handlungsstruktur des Kapitalmarktes?

 

Ja, da kann ich mich anschließen. Überall dort, wo sinnvolle wirtschaftliche Ziele gesetzt werden, begrenzt man die reine Gier, weil die Finanzwirtschaft dann nicht reiner Selbstzweck der Kapitalvermehrung ist. Verantwortung für eine Region kann helfen, Banken solche sinnvollen wirtschaftlichen Ziele zu setzen.

 

Herr Professor Neckel, wir danken Ihnen herzlich für dieses offene Gespräch!

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