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Griechenland-Ratings, Leerverkäufe und Deppenkultur. Oder: (K)eine Welt ohne Risiken

Hier geht es um die Frage, ob das Heruntersetzen des Ratings für Griechenland tatsächlich die Kritik an Staaten rechtfertigt. Und ob nicht die Übernahme der hinreichend bekannten Sprechweise der eigentliche Fehler ist. Schließlich geht es auch um die Frage: Kann es denn überhaupt eine Welt ohne Risiko geben?

Es war kaum zu übersehen: Die Bildzeitung titelte am 10.5.2010 „ 750 Milliarden für Pleite-Nachbarn - Wir sind wieder mal Europas Deppen!“ Eine Woche später, am 18.5.2010 äußerte sich der ehemalige Chef-Redakteur des Manager Magazins delikaterweise in einem Kommentar im „Spiegel“ in ähnlicher Weise:

„Stellt euch vor, es herrscht Finanznot, und keiner leiht den Regierungen mehr Geld. (...) Endlich ist es so weit. Die Regierenden in aller Welt sind, für alle sichtbar, dort angekommen, wo sie schon lange hingehörten: auf einer Ebene mit den Zocker-Bankern. Verflogen nun die Illusion, mit immer neuen Schulden die Wachstumsmaschine in den entwickelten Industriestaaten auf Touren halten zu können; vorbei die Hoffnung, die staatlichen Kassen könnten dem Gemeinwesen weiter als "lender of last resort", als letzte Zuflucht der Kreditsuchenden, dienen, wenn bei den Banken gar nichts mehr geht. Die Staaten selbst haben ihre Kreditwürdigkeit verspielt.„


Soll man das nun alles glauben? Oder ist es nur so, dass die versammelte Massenpresse sich in ihren scheinbar kritischen Äußerung auch nur der Denk- und Sprechweise des Kapitalmarktes bedient und man besser selber nachdenken würde? Im Übrigen wird die Aussage Kadens im Spiegel, es „herrsche Finanznot“ durch ein am selben Tag in einem Interview der FAZ mit einem Kreditanalysten Jochen Felsenheimer geäußerte Feststellung die Wirtschafts- und Finanzkrise sei nicht nur große Schulden sonder auch auf zu viel Liquidität zurückzuführen, konterkariert. Was denn nun? So könnte man fragen. Aber eigentlich ist es gleichgültig, weil es im Grunde nicht darum geht. Sondern eher darum, dass Sprache verräterisch sein kann, dass Risikoaffinität nicht das selbe wie Risikobewusstsein ist und dass Respekt vor Return on Investment gehen sollte.

Wie immer lohnt es sich, ein wenig tiefer zu graben:

Gibt es noch Risiken?

Ausgangspunkt der Argumentation ist bei beiden Publikationen – BILD und Spiegel – dass die Banken bzw. die Finanzwelt den Griechen kein Geld mehr geben wollen, weil die Gefahr der Überschuldung zu groß sei. Die Banken sollen das Risiko scheuen? Die Großbanken? Der Kapitalmarkt? Die Hedge Funds?

Ist es denn noch niemandem aufgefallen: Das gesamte System des Finanzmarkts hat sich schon seit Jahren mit Instrumenten wie Short Selling und gedeckten oder ungedeckten Credit Default Swaps so instrumentiert, das es echte Risiken – außer dem Totalverlust durch den Zusammenbruch eines Unternehmen – für ihn eigentlich gar nicht mehr gibt. Man kann sich das so vorstellen:

o Ein Kredit wird notleidend – die Finanzwelt hat ihn mit Kreditausfallversicherunge
n abgesichert. Wo ist das Risiko?

o Ein Börsenwert oder eine Anleihe sinkt im Wert. Durch Leerverkäufe kann man den möglichen Verlust absichern oder auch von sinkenden Kursen profitieren. Wo ist das Risiko?

o Man fuhr eine Kreditvergabe-Politik, die Objekte im Interessen von Provisionen überwertete und gerat bei einem Downturn in Bilanzschwierigkeiten? Man bündelt und verkauft die Forderungen oder weist sie als Kreditersatzgeschäft aus. Wo ist das Risiko?

Nein, es ist schwer zu glauben, dass der Finanzmarkt tatsächlich ernsthafte Bonitätszweifel an der griechischen Volkswirtschaft oder gar an der Existenzfähigkeit des Euro hat. Oder glauben Sie das wirklich?

Griechenland und seine Menschen können nicht total verloren gehen. Und der Euro stand am Anfang bei 80 Cent und keiner verhungerte. Es geht nicht um Risiken. Es geht um mögliche Profite, die eben im Finanzmarkt nicht mehr von steigenden Kursen abhängig sind, sondern auch bei fallenden Kursen gemacht werden können. Hier endet die Parallele zum wirklichen Leben. Denn im wirklichen Leben gibt es noch wirkliche Risiken – Gefahr für Leib und Leben, Risiken in der Technik, etc. Wir leben damit und wir schützen uns davor. Aber Als Gesellschaft suchen wir sie nicht.

Daran ändert übrigens auch die gewagte dialektische Volte von Deutsche Bank Research in ihrem Papier vom 1.4.2010 zum Thema Short Selling nichts:

Eine Einschränkung von ungedeckten Leerverkäufen wird daher nicht verhindern, dass die Aktienkurse von in Schwierigkeiten geratenen Unternehmen einbrechen. Dies wird in jedem Fall geschehen. Ein Verbot von ungedeckten Leerverkäufen hilft hier also nicht, führt aber dazu, dass ein wichtiger Frühwarnindikator für Kurs- und Preisübertreibungen und Marktblasen verloren geht.


Die Kurse würden ja eh fallen, so sagen sie. Und deshalb wäre das, was gerade heute, am 18.5.2010 in Deutschland verboten wurde, doch prima. Weil es ja nichts macht. Die Kurse würden ja eh fallen. Da ist keine Verbindung mehr zu Risikobewusstsein. Zahlen können nicht leiden – nur Profite. Wir zahlen nicht für Griechenland, sondern für etwas, das man an Anlehnung an BILD als unsere eigene Deppen-Kultur bezeichnen könnte. Und der schöne Satz Hölderlins: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ hat mit dem Finanzmarkt nichts zu tun. Er übernimmt keine Verantwortung.

„Wo ist denn da die Sicherheit?“

Um es einmal so deutlich zu sagen: Die traditionell konservative Frage des anständigen Bankers „Wo ist denn da die Sicherheit?“ wird im spekulativen Finanzmarkt schon lange nicht mehr wirklich gestellt. Sie war früher das 1 x 1 jedes Bankers. Und sie ist es bei den meisten Volksbanken und Sparkassen noch heute. (Was auch einmal dazu führen kann, dass Kredite nicht gewährt werden. Aber das ist ein anderes Thema.)

Das heißt konkret: „Welcher Gegenwert steht hinter dem Kredit?“ Genau mit dieser Frage werden eigentlich Risiken für alle vermieden. Wie man feststellen durfte, ist die Risikoaffinität des Finanzmarktes derartig ins Unermessliche gestiegen, dass es im Grunde keine Risiken und keine Referenz mehr gibt. Und nun soll der Finanzmarkt plötzlich wieder zur Vernunft gekommen sein? Schwer zu glauben. Oder?

Wir rechnen uns um Kopf und Kragen

Die Rating-Agenturen rechnen irgendetwas, die Fonds reagieren mechanisch, die Spekulanten befeuern die medialen Zweifel an der Bonität. Jeder kann Ihnen heute spielend vorrechnen, dass die Überschuldung der Staaten unverantwortlich ist. Je dramatischer, desto besser. So auch Kaden im Spiegel:

„In Japan, dem unumstrittenen Schuldenweltmeister, liegen die Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand inzwischen bei 678 Prozent der jährlichen Steuereinnahmen. Das bedeutet: Die Japaner müssten fast sieben Jahre lang sämtliche Steuereinnahmen für die Tilgung ausgeben, um ihren Staat schuldenfrei zu machen.“


Diese alarmistische Art zu rechnen entspräche etwa der Denkweise, dass ein Häuslebauer oder –käufer mit einem Jahreseinkommen von sagen wir 50.000 Euro , der sich ein Haus für sagen wir 250.000 Euro kauft oder baut, sage und schreibe sein gesamtes Einkommen von fünf Jahren einsetzen müsste, um sein Haus zu bezahlen. Das ist eine so wahnsinnige Rechnung, dass sie von den Banken noch nicht einmal angeboten wird. Es gibt zwar sogenannte Schnelltilgungsdarlehen – aber die gehen in der Regel wenigstens von einer Tilgungszeit von 10 Jahren aus.

Natürlich sollte sich weder der private Häuslebauer jedes Jahr ein neues, zusätzliches Haus kaufen. Noch sollte irgendein Staatswesen jedes Jahr von neuem so viele Schulden machen, dass es irgendwann nur noch Zinsen bezahlt. Aber es gibt ja zum Glück auch andere Rechenarten. Welcher Häuslebauer würde gerade zu Zeiten des Zinstiefstandes einen Kredit nur für fünf Jahre festlegen? Und welche vernünftige Bank würde Kredite ohne Deckung ausreichen?

Totalverlust ausgeschlossen – Respektverlust nicht

Dass Staaten sich bei ihren Bürgern in Form von Staatsanleihen Geld leihen, ist eigentlich eine gute Sache. Dass Staatsanleihen mit frei handelbaren Gütern gleichgesetzt werden, ist keine gute Sache. Wer im Zusammenhang mit Volkswirtschaften wie Griechenland oder Spanien von „Schrott-Papieren“ und ähnlichem spricht (so z.B. ein überaus kritischer Leserkommentar vom 18.5.2 010 in der Faz-Online), der übernimmt die Denkweise derjenigen, die er angreift.

Zum Nachdenken sollte auch eine Headline der FAZ vom 12.5.2010 anregen:
„Nur jedes sechste Land ist ein erstklassiger Schuldner“. So heißt es da. Und auch die FAZ unterscheidet – Originalton - zwischen „investmentwürdigen und spekulativen Staaten“. Das ist nur eine vornehmere Art als die der BILD, die ihm genannten Artikel das Urteil der Rating-Agenturen fraglos übernimmt: „123 Milliarden beträgt allein der deutsche Beitrag für die Pleite-Nachbarn.“ Sind wir denn alle Spekulanten? Denken wir nur noch wie Großbanken? Können die Werte eines Staatswesens total verloren gehen? Eigentlich nicht – es sei denn, man würde ihn auf ein finanzmarktliches Zahlenspiel reduzieren. Allein schon der Respekt vor Nationen, Kulturen und Völkern sollte hier als allererstes Mäßigung und Anstand gebieten.

Fazit: Wer sich über das falsche aufregt, ist ein Depp

Griechenland werde die Schulden wohl nicht zurückzahlen, meinte der Deutsche Bank-Chef Ackermann. Und erntete viel Erstaunen und Kritik. Warum eigentlich? Weil solch eine Äußerung das Vertrauen des Finanzmarktes beeinträchtigen könnte? Der spekulative Finanzmarkt braucht kein Vertrauen, denn er kennt keine Risiken. Alles ist ein Zahlenspiel.

Das haben wir doch schon vor einem Jahrzehnten von Ackermanns Vorgänger gelernt: „Peanuts“. So what? Der Unterschied zwischen damals und heute: Früher ärgerten sich die Menschen noch darüber, wenn Großbank-Chefs Millionenbeträge als Peanuts titulierten – und so die Werte, die von den Menschen geschaffen werden – die wenigstens kommen in den siebenstelligen Bereich – einfach nicht respektieren. Wer hier nicht mitspielen will, sollte sich übrigens auch genau überlegen, zu welcher Bank er geht. Und ob die Bank, mit der er zusammenarbeitet, noch Respekt hat.

Fragen Sie Ihre Bank, nach welchen Kriterien sie Ihren Kredit bewertet. Fragen Sie Ihre Bank vor allem – ob sie bei Kreditverträgen den Forderungsverkauf – also das Weiterverkaufen Ihres Kredits – ausschließt. Tut sie das, sind sie auf jeden Fall auf einer sichereren Seite. Tut sie das nicht, liegt die Vermutung nahe, dass ihre Bank am großen Spiel teilnimmt. Und dass sie die Werte, die sie in Ihrem Leben geschaffen und erworben haben, nicht respektiert....
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