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Der Skandal hinter dem Skandälchen der Deutschen Börse…

Derzeit geistert eine Meldung durch die Presse, deren Ausgang man mit Neugier, aber dennoch entspannt entgegensehen kann: Unter der markigen Überschrift „Vorwurf des Insiderhandels: Börse-Chef Kengeter in Bedrängnis“ berichtet zum Beispiel die FAZ (3.2.17) über Hausdurchsuchungen bei dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Börse AG. Ja, es wird darüber derzeit viel geschrieben. Den eigentlichen Skandal hat aber außer uns wohl trotzdem noch keiner entdeckt…

Also gehen wir das mal von Anfang an durch. Der Vorwurf, der diesem sagen wir mal sehr marktoffenen Ex-Bänker (über seine Vita hatten wir zu seinem Amtsantritt schon geschrieben) gemacht wird: Er habe sich im Hinblick auf eine eventuell geplante Fusion der Deutschen Börse mit dem englischen Pendant London Stock Exchange mal schon mit Aktien seines Arbeitgebers eingedeckt.

In dem genannten Artikel präzisiert die FAZ genussvoll: „Am 14. Dezember 2015 kaufte Kengeter dreimal 20 000 Aktien der Deutschen Börse im Gesamtwert von 4,5 Millionen Euro.“ Das Datum 14. Dezember 2015 und insbesondere die Zahl 4,5 Millionen behalten wir jetzt bitte mal für ein paar Minuten im Gedächtnis…

Das Problem mit dem Problem

Der Vorwurf, der Carsten Kengeter nun gemacht wird: Als oberster Mitarbeiter der Deutschen Börse weiß er naturgemäß Dinge über das Unternehmen, die andere nicht wissen können. Und natürlich weiss er sie auch früher als andere. Weil er dadurch über einen Wissensvorsprung gegenüber anderen Marktteilnehmern verfügt, ist er automatisch ein sogenannter Insider. Und solche Insider müssen eben melden, wenn sie Aktien der Unternehmen kaufen, über die sie mehr wissen als andere. Tun sie das nicht, machen sie sich strafbar. Das ist der Grund für den ganzen Trubel.

Nun könnte man sich fragen: Warum wird da eigentlich so ein Wind gemacht? Ganz einfach:

Jetzt wohl nicht so sehr, weil das Ausnutzen von Wissensvorteilen irgendwie nicht so richtig anständig ist - davon lebten früher viele Händler (das nannte man damals noch "arbitrage". Nein, es gibt wohl schon einen anderen Grund, über den nur selten gesprochen wird.

Das Ausnutzen von Insiderwissen würde ja die schöne und – derzeit das gesamte Börsengeschäft mit all seinen Kapriolen als immer richtig untermauernde – Markteffizienz-Hypothese verstoßen! Also gegen das Konzept, das besagt:

Der Markt hat immer recht, weil man einfach gesprochen davon ausgeht, dass alle Informationen schon an der Börse eingepreist und für alle Börsenteilnehmer verfügbar sind. Ob diese Markteffizienz-Hypothese nun wirklich als Gipfel der Weisheit und praktischen Vernunft oder gar als Grund herangezogen werden sollte, jedes Geschäft zu machen, nur weil man es machen kann und es eben alle wissen? Naja, das lassen wir jetzt einfach mal dahin gestellt. Denn darüber hatten wir hie und da schon berichtet. Allemal ist es halt so, dass der nicht gemeldete Insider-Handel deshalb verboten ist.

Um diesen Vorgang mal abzuschließen: Innerhalb von wenigen Tagen wurde also investigativ recherchiert und Indizien gesucht, die diesem Vorwurf des Insiderhandels Vorschub geben könnten. So ballerte die Wirtschaftswoche am 10.2.17 einen Kommentar mit der Headline

Deutsche Börse: Treten Sie zurück, Herr Kengeter!“

raus. Der Grund, den sie für diese Forderung fand: Kengeter solle schon im November 2015 mit der Bundesregierung über eine mögliche Fusion der Deutschen mit der Londoner Börse gesprochen haben. Und wenn er das getan habe, müsse er ja etwas mehr gewusst haben als der Markt. Und die Deutsche Börse AG hätte deshalb die Aktienkäufe ihres Vorstandsvorsitzenden melden müssen. Was sie aber erst im Januar 2016 getan habe. Und immer so fort.

Nun können wir uns endlich an die Zahl 4,5 Millionen und den Monat Dezember 2015 erinnern. Denn es ist eben so, dass die in allem Artikeln genannten Aktien im Wert von 4,5 Millionen Markt im Zusammenhang mit dem im Vergütungsbericht Vorstandsvergütung für das Geschäftsjahr 2015 (Redaktionsschluss 18.2. 2016) absolut im Einklang stehen. Dort ist nämlich zu lesen:

„Nach eingehender Erörterung und Prüfung“ sei vom Aufsichtsrat der Deutschen Börse AG bereits „in seiner Sitzung am 23. September 2015“ ein neues Vergütungssystem für den Vorstand beschlossen worden. Hier liest man auch: Das neue System gelte ab dem 1. Januar 2016 und werde der Hauptversammlung am 11. Mai 2016 zur Billigung vorgelegt. Dort steht jetzt mal nur ganz sinngemäß drin, dass der Vorstand sich für bis zu 4,5 Millionen Euro privat Aktien kaufen kann - und dann eben das selbe nochmal in Form von Co-Performance Aktien bekommt.

Dort heisst es eben:

"Im Gegenzug zum Erwerb der Investment Shares aus eigenen Mitteln bis zu einem Maximalbetrag von 4.500.000 €, erhält Herr Kengeter die Zusage auf sog. Co-Performance- Aktien (Co-­Performance Shares) der Gesellschaft."

In diesem Sinne war diese Regelung, die Kengeter geradezu zum Kauf von Aktien seines Arbeitgebers aufzufordern schien, zum Dezember 2015 zwar vom Aufsichtsrat beschlossen aber noch nicht von der Hauptversammlung gebilligt. War sie trotzdem schon gültig? Das ist die Frage, auf die nach unserer Einschätzung am Ende alles zulaufen wird. Allemal dürften die Spekulationen über den Vorwurf des Insiderhandels deshalb ins Leere laufen. Und wenn nicht? Ja, dann ist das auch ok.

Das eigentlich Ärgerliche an diesem Vorgang

Was unsere Recherchen zu diesem irgendwie doch albernen Vorgang ein wenig ärgerlich machte, war ein Passus in dem genannten Vergütungsbericht:

Denn bemerkenswert ist hier vor allem eines:

Bis zum Jahr 2015 galt bei der Deutschen Börse AG ein Vergütungssystem, das nun in einem bestimmten Punkt leider nicht mehr gilt. Bis dahin nannte die Vergütungsregel für Vorstände nämlich noch folgende Zielkriterien:

„der wirtschaftliche Unternehmenserfolg, das Stakeholder Management, die Nachfolgeplanung für Managementpositionen, die Mitarbeiter­zufriedenheit sowie die mittel und langfristige Sicherung des volkswirtschaftlichen und gesell­schaftlichen Wertbeitrags.“

Das seit Januar 2016 gültige Vergütungssystem beschreibt die neuen deutlich reduzierten Ziele:

„Performance-Orientierung, ausgewogene Anreizsysteme und eine Stärkung der Aktienkultur sind die Leitlinien des neuen Systems.“

Der volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Wertbeitrag wurde einfach mal so ganz nonchalant rausgeschnitten!

Warum eigentlich? Ist das nicht mehr relevant? Oder wäre der Begriff der Gesellschaftlichkeit für Kengeter nicht zu verstehen gewesen? Naja, der Mann hat ja immerhin studiert... mag auch sein, er hatte mit solchen gesellschaftlichen Dingen in seiner frühreren Tätigkeit nicht so viel Kontakt. Aber das kann man ja lernen.…

Spaß beiseite: Natürlich könnte man sich hier noch überlegen, dass ja aus der Sicht der Kapitalmärkte eine Stärkung der Aktienkultur doch irgendwie auch einer „langfristigen Sicherung des volkswirtschaftlichen und gesell­schaftlichen Wertbeitrags“ gleichkommen könnte.

Das Problem ist nur: Angesichts einer nach wie vor verschwindend geringen Quote von Aktionären in Deutschland und der recht eigentlichen Unberechenbarkeit der Märkte und einer Markteffizienz-Hypothese, die von Markt-Anomalien durchlöchert ist, ist der gut finanzierten und mittelständisch organisierten deutschen Wirtschaft mit einer "Stärkung der Aktienkultur" oder auch mit der Wiedereröffnung des Neuen Marktes kaum gedient.

Für die Finanzierung der kleinen und mittleren Unternehmen sorgen ohnehin die regionalen Sparkassen und Genossenschaftsbanken.

Fazit:

Man soll ja nichts Böses denken. Aber dass sich alle um die Frage des Insiderhandels kümmern und niemand diese wirklich radikale Änderung wahrnimmt, darüber sollte man sich schon einmal ein paar ernste Gedanken machen.

Und wenn Kengeter die ihm durch die Vergütungsordnung zustehenden Aktien für 4,5 Millionen Euro mit Hintergedanken gekauft hat? Na, dann soll er sich was schämen. Das wäre aus unserer Sicht kein Skandal mehr. Nur noch ein Skandälchen.

Aber dass man die Gesellschaft einfach so aus der Börse rausschneidet und damit nur an sich selbst denkt – das ist für uns der eigentliche Skandal. Für Euch auch?…

 

 

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