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Der Kapitalmarkt und die Hand Gottes. Oder: Eine seltsame Medienschlacht.

Ganz ehrlich: Wir haben lange überlegt, ob wir trotz der schlimmen Katastrophe in Japan etwas zu diesem Thema schreiben sollen. Der Anstand gebietet eigentlich, sich hier zurückzuhalten und nicht mehr zu schreiben, als dass man mit den Opfer und ihren Angehörigen fühlt. Wäre da nicht diese seltsame Diskussion gewesen, die in den letzten beiden Tage durch die Medien ging…

Am 17.3.11 zitiert das Handelsblatt („Oettingers düstere Japan-Prognose verärgert Ökonomen“) und andere Medien die Aufregung des Ex-Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) über Öttingers dramatische Sichtweise auf die Situation in Japan: Es sei „brandgefährlich“, wenn sich amtliche Stellen „populistischen Dramatisierungen“ in den Medien anschlössen, um diesen so Gewicht zu geben. Da brauche man sich nicht wundern, wenn sich Panik auf die Finanzmärkte transportiert und schließlich die „Weltkonjunktur in Bedrängnis“ gerate. Wirtschaft werde schließlich von Stimmungen beeinflusst. Das übliche Medienspektakel also.

Aber, so fragten wir uns ganz einfach: Warum wird man den Eindruck nicht los, als würde der Ökonom die Äußerung Öttingers für wirksamer halten als andere Dinge, die man die letzten Tage lesen kann? Für wirksamer gar, als die bereits heute flagrante Realität der Menschen in Japan, die uns alle Medien live und in Farbe zeigen? Nur weil er ein Amt bekleidet und gleichzeitig auf die ihm eigene Weise sagt, was er fühlt?

Es lohnt sich auch hier, ein wenig tiefer zu graben…

Theologie trifft Kapital

Die Angelegenheit wird erst dann besonders markant, wenn man sie mit der vom Spiegel (Oettinger sorgt mit Japan-Warnung für Kursverluste) am 16.3.11 zitierten Äußerung Öttingers verschaltet. Der Spiegel macht seinen Artikel frech mit einem halben Zitat Öttingers auf:

"Das Ganze ist jetzt in Gottes Hand."

Mag sein, dass der Ökonom ausgerechnet diese Zeile gelesen hat. So eine Aussage mag ihm in einer säkularisierten und aufgeklärten Welt, die von Wissenschaft und Wirtschaft geprägt ist, zugegebenermaßen ungewöhnlich und „systemgefährdend“ erscheinen.

Aber immerhin: Käme solch eine Aussage von einem Amerikaner, würde man sich ja nicht wundern. Die Amis haben diesbezüglich ein sehr viel entspannteres Verhältnis zu Gott und der Welt.

Aber auch ein Amerikaner müsste ja genau genommen zugestehen, dass - wenn überhaupt - das Ganze auch schon vorher in „Gottes Hand“ war. Und nicht erst seitdem der Mensch nahezu machtlos vis-à-vis steht. Naja, dass Öttinger das nicht getan hat, hat wohl mit so einer Art Schlechtwetter-Theologie zu tun. (Soll uns nicht weiter stören.)

Technologiekritik trifft Ungeschick

Überdies scheint die Äußerung Öttingers ja schon ein wenig differenzierter gewesen zu sein.  Wie sich zeigt, gibt es von ihr noch eine andere Lesart, von der die Zeitung Derwesten.de (16.3.11) mehr preisgibt. Dort heißt es nämlich:

Der deutsche EU-Energiekommissar Günther Oettinger zweifelt an den Japanern: Maßnahmen wie die, per Hubschrauber Wasser zur Reaktor-Kühlung zu bringen, muteten an wie bei einem „Waldbrand“ und nicht als wirksames Vorgehen bei einem Atomunfall. Angesichts dessen müsse er die „hohe Meinung über Ingenieurkompetenz oder Technikkompetenz“ der Japaner „korrigieren“, fügte Oettinger hinzu. „Man muss im Grunde genommen befürchten, dass das Ganze in Gottes Hand ist.“

An dieser etwas tieferen Darstellung zeigt sich nicht nur, dass Öttinger sich wohl erstens ebenso wie wir kaum vorstellen kann, wie sich eine Situation anfühlen mag, in der die Menschen nur noch wenig oder nichts mehr ausrichten können und dass er zweitens als EU-Kommissar mal wieder ungeschickt formuliert hat.  Ausgerechnet in einem Moment höchster Not eines Volkes an ihm rumzukritisieren, ist wenig angebracht und zeugt von wenig Mitgefühl.

Religion trifft Risiko

Es zeigt sich aber auch noch etwas anderes: Dass Gott als funktionelle Größe immer dann aufgerufen wird, wenn der Mensch ganz offenbar an die Grenzen seines Einflussbereiches gerät. Und wenn das Denksystem, das mit Risiken spielt, versagt - weil eben das stets sicher scheinende Wissen um die Beherrschbarkeit des Berechneten plötzlich versagt. Ja, so ist das: Im Moment der Not scheint sich „Wissen“ in eine Frage des Glaubens zu verwandeln.

Am 14.3.11 schrieb der Standard.at (Die EU muss alle AKW prüfen) passend dazu:

Ist die Technik beherrschbar? Können Kernkraftwerke sicher betrieben werden? Kann eine sichere Entsorgung gewährleistet werden? Da kein Experte eine absolut gesicherte Antwort geben kann, ist die Atomkraft eine technische Glaubensfrage.

Aber auch das ist natürlich eine Aussage, mit der ein deutscher Wirtschaftsforscher nicht sehr viel anfangen kann. Und zwar nicht nur deshalb, weil der Gottesbeweis im Ganzen sich wissenschaftlich gesehen schon immer als schwierig erwies, sondern vor allem deshalb, weil sich solche Aussagen mit der allgemeinen Hybris der vom finanzmathematisch Risikomanagement gesteuerten Denkweise so gar nicht vertragen will. Und zwar weder bezogen auf Erdbebenstärken und Kernkraft noch auf deren Auswirkungen im Kapitalmarkt – und auf den Kapitalmarkt selbst.

Asymmetrie trifft Realität

Es zeigt sich hier eine eigentlich gar nicht so seltsame Analogie zwischen der Kernkraft und dem Kapitalmarkt der letzten 10 Jahre: Atomenergie wurde ebenso wie die Produkte des Finanzmarkts lange Zeit als eine Art „Absolute-Return“-Konzept betrachtet. Eine Sichtweise, bei der Ertragserwartungen und Risikoerwartungen nicht linear miteinander verlaufen, sondern eben mehr Ertrag rauskommt, als Risiko unterstellt wird. Ein asymmetrisches Ertragsprofil nennt man das heute gerne (darauf werden wir an einem anderen Tag zu sprechen kommen) – das Paradies für jeden Anleger. Die Berechnung von Risiken und ihre wirtschaftliche oder finanzmathematische Absicherung hat aber so gar nichts Göttliches – außer eben der Allmachtsfantasie, dass man Risiken durch ihre Berechnung steuern könnte.

Jede Berechnung basiert auf Annahmen – manchmal auch auf Messungen. Jede Annahme zu möglichen Risiken geht von einem maximal möglichen Risiko aus. Bei den Kernkraftwerken in Japan ging man laut Meldungen von einem maximalen Erdbebenstoß von 8.0 auf der nach oben offenen Richterskala aus. Nun wurde das Erdbeben eben stärker als angenommen.

Und plötzlich hilft also die schönste Rechnerei nichts mehr. Und dann kommt der Gedanke hoch, den die ehemalige Bischöfin Margot Kässmann einmal so schön aussprach: Man kann nicht tiefer fallen als in die Hand Gottes...

Fazit

Plötzlich steht also zu „befürchten“, dass alles „in der Hand Gottes“ liegen könnte. So soll Öttinger gesagt haben. Es wird ihm angekreidet, dass er das nicht als Mensch, sondern als Energiekommissar der EU gesagt habe. Aber eigentlich hat er nur gesagt, was er gedacht und gefühlt hat. Ein Sentiment, das veröffentlicht wurde – und das nun „brandgefährlich“ für den Finanzmarkt sein könnte. Weil der Finanzmarkt ja von Stimmungen beeinflusst werde.

Dem Finanzmarkt scheint das aber eigentlich egal gewesen zu sein. Tatsächlich bewegte sich der DAX zwischen dem 15.3.11 und 17.3.11 gemessen zwischen ca. 6900 und 6500 Punkten. So meldete dann auch das Handelsblatt (Deutsche Aktien schließen mit Gewinnen) am 17.3.11, der deutsche Leitindex habe 2,2 Prozent auf 6656 Zähler gewonnen:

"Es gibt die Hoffnung, dass der drohende Super-Gau in Japan doch noch abgewendet werden kann", sagte ein Händler. "Wie berechtigt diese Hoffnungen sind, weiß derzeit allerdings niemand."

Wie man sieht, sind Meldungen, die über Hoffnung sprechen, doch akzeptabler als Meldungen, die Verzweiflung transportieren oder gar alles in die Hand Gottes legen. Jaja, das Sentiment macht den Markt aus. Aber mal ehrlich: Wenn der Kapitalmarkt kollabiert, dann nicht wegen einer Äußerung Öttingers oder sonst irgendeines Medien-Nutzers. Sondern einfach nur, weil die Realität nicht immer so funktioniert, wie sie es soll.

Was lehrt uns also all dieses? Vielleicht nur und ganz außerhalb aller metaphsyischen Spitzfindigkeiten und theologischen Mucken:

Am Ende kann sich jedes Rendite-Risiko-Profil als symmetrisch erweisen. Der Preis für jedes eingegangene sehr hohe Risiko kann sehr hoch sein. Sehr viel höher als alles, was man sich ausrechnen und was man mit Bürgschaften abdecken könnte…

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