claim von gute-banken

Neue Gewaltenteilung: Die EU, der IWF und die Ratings.

Oder: Das Kapital als Steuerzahler der letzten Instanz!

 

Am 29.3.11 berichtet u. a. die Financial Times Deutschland  in ihrem Artikel „Reaktion auf EU-Gipfel: S&P senkt Daumen über Euro-Rettungsschirm“, die Ratingagentur Standard & Poor's habe die Kreditwürdigkeit Griechenlands auf BB- und Portugals auf BBB- herabgestuft. Portugal sei damit nur noch einen Rang über „Ramschniveau“, griechische Staatsanleihen seien „Junk“. Man fragt sich: Wie kann das alles geschehen?

 

Bemerkenswert ist die ausdrückliche Begründung, die dafür von Standard & Poors geliefert wird: Nach den Ergebnissen des EU-Gipfels könnten „Private Investoren“ in bestimmten Fällen an den Kosten für die Rettung hochverschuldeter Staaten beteiligt werden. Nur noch mal zur Erinnerung: Über diese Möglichkeit hat der EU-Gipfel am Wochenende lediglich intensiv nachgedacht. Und sofort gibt’s ein Brett von der dunklen Macht.

 

Das Ganze hat aus der Sicht des Nicht-Bänkers ganz einfach mit der fatalen Kombination aus enormer Gier als Handlungsstruktur, einem von wenigen Playern beherrschten System – und einem einfachen Mangel an Respekt zu tun.

 

Aber die Angelegenheit ist deutlich komplexer, als sie auf den ersten Blick aussehen mag.

 

Wie immer lohnt es sich, ein wenig tiefer zu graben…

 

Wie arbeiten Rating-Agenturen?

 

Fangen wir mal mit dieser einfachen Frage an. Bedenkt man die massiven Auswirkungen, die Rating-Agenturen durch ihr scheinbar objektives Urteil auf Staaten, das Finanz-System und auch die Realwirtschaft haben können und bereits hatten, fragt man sich doch einfach: Wie arbeiten diese Agenturen eigentlich? Zum Glück kann man das ja nachlesen. Eine mögliche Antwort darauf gibt die Website von Standard & Poors: Sie arbeiten ziemlich unverbindlich. Man sollte sich in seiner Entscheidung also nicht auf sie verlassen. Konkret heisst es dort:

 

Users of the information contained herein should not rely on any of it in making any investment decision. S&P's opinions and analyses do not address the suitability of any security. S&P does not act as a fiduciary or an investment advisor.

 

Das ist natürlich schon seltsam. Das ganze System war jahrelang auf Ratings fokussiert. Und jetzt lernen wir, dass man sich bei Investmententscheidungen gar nicht auf sie verlassen „soll“. Wie wenig verlässlich und oberflächlich die Information tatsächlich ist, wird als Begründung für das Ablehnen von Verantwortung gleich mitgeliefert:

 

„While S&P has obtained information from sources it believes to be reliable, S&P does not perform an audit and undertakes no duty of due diligence or independent verification of any information it receives.“

 

Auf deutsch heisst das soviel wie: S&P bekommt Zahlen und verarbeitet sie in einem Rating-System. Die Zahlenbasis wird nicht geprüft und es gibt ganz offenbar – so liest man das wenigstens – keine tiefere Recherche über die verwendeten Zahlen hinaus. Eine „Due Diligence“, also eine sorgfältige Prüfung der Realität, die hinter den Zahlen steht, wird nicht gemacht. Alles nur Zahlen?

 

„Outlook Reviews“

 

Das kann ja nun auch nicht sein. Denn immerhin veröffentlichen Rating-Agenturen neben Ratings ja auch immer wieder sogenannte Outlook Reviews, in denen einfach mal Annahmen von S&P über die mögliche Entwicklung eines Wertes – wie zum Beispiel einer Staatsanleihe – gesprochen wird.

 

Das geschah unter anderem im Juni 2010: Da berichtete u. a. FAZnet (14. 6 2010) darüber, dass die Rating-Agentur Moody's Griechenlands Bonitätsnote von „A3“ auf „Ba1“ abstufe. Ba1 - das sei „Ramschstatus“.

 

Dazu gab es einen „Outlook“: Moody’s verkündete, mittelfristig gäbe es für Griechenland „keine weitere Abwertung“: Der Rettungsschirm habe ja „jegliche Risiken“ in der kurzen Frist beseitigt. Außer dem schlechten Wirtschaftswachstum - daher das „Ba1“-Rating. Damals ging es um das „größere, obgleich niedrige Risiko einer Pleite“. Soviel zum „Outlook“ vor 9 Monaten. Für den Terminus mittelfristig ist das in unserer kurzatmigen Zeit wahrscheinlich schon zu lange.

 

Ganz abgesehen davon, dass man sich bei aller Finanzmarkt-Hörigkeit immer noch schwer vorstellen kann, wie eine Volkswirtschaft „Pleite“ gehen kann - man fragt sich ja auch: Wenn im Juni 2010 das Rating Ba1 „Ramsch“ war – was ist dann BB- heute? Einfache Respektlosigkeit? Allein die Sprache, die da verwendet wird, zeigt schon: Hir gibt es wirklich keinen besonderen Respekt für Werte – ausser man kann sie rechnen! Aber naja. Weiter im Text.

 

Die Bewertung des IWF

 

Irgendwie drollig bei all dem ist, dass unter anderem auch der Internationale Währungsfond (IWF) beginnt, sich die Arbeit der Rating-Agenturen kritisch anzusehen. Drollig ist dabei die Art und Weise, wie das gemacht wird. Denn auch hier geht es um Zahlen:

 

In dem vom IWF im März 2011 vorgelegten Papier „Sovereign Rating News and Financial Markets Spillovers: Evidence from the European Debt Crisis“ wird in einer Tabelle die Anzahl der Ratings der drei führenden Rating-Agenturen aufgelistet. Bemerkenswert daran: Vom 9.1.2009 bis zum 17.5.2010, so gibt das Papier an, meldeten sich die drei großen Rating-Agenturen insgesamt 55 mal bezüglich europäischen Staatsanleihen zu Wort. Im ebenfalls erfassten Zeitraum vom 23.10.2006 bis zum 12.12.2008 kamen sie gerade mal auf langweilige 17 Meldungen.

 

Da liegt natürlich einerseits der Verdacht nahe, dass das gesteigerte Interesse der Agenturen für Staatsanleihen etwas mit Öffentlichkeitswirksamkeit zu tun hat. Vor allem aber, so schließt das IWF-Papier, zeige das, dass die vorausschauenden Fähigkeiten der Rating-Agenturen auch nicht größer waren, als diejenigen der anderen Marktteilnehmer – und dass ihnen die Folgen ihres Handeln gegebenenfalls auch egal gewesen sein könnten:

 

This observation suggests that rating agencies have not anticipated the macroeconomic weaknesses of European economies consecutive to the financial crisis.

 

Auf deutsch könnte man sagen: Das sind auch nur Pfuscher. Es war doch deutlich absehbar, dass die Folgen der Finanzkrise gerade bei wirtschaftlich ohnehin schon schwächeren Staaten nicht von heute auf morgen abzuarbeiten sein würden. Dass die Rating-Agenturen hier seit etwa einem Jahr eine Salami-Taktik im Abstufen von Griechenland und Portugal durchführen, lässt sie auf jeden Fall als nicht besonders vorausschauend erscheinen. Gegebenenfalls aber auch als rücksichtslos und unbedacht. Allemal aber bringen sie ihre eigene Position dadurch immer stärker in Gefahr. Na, uns soll’s recht sein. Wer alles bewertet, was nicht bei drei auf dem Baum ist – und eben nicht darüber nachdenkt, ob es gut ist oder nicht, der muss sich irgendwann mal eine blutige Nase holen …

 

Ratings und Politik

 

So ähnlich interpretiert das auch die Financial Times Deutschland in ihrem am 30.3.11 erschienenen Artikel über die genannte IWF-Studie. Der Artikel trägt übrigens den markanten Titel „IWF brandmarkt Ratingagenturen als Krisenverschärfer“.

 

Er berichtet über die nicht besonders erstaunlichen Ergebnisse der Studie: Die Urteile von Rating-Agenturen über die Kreditwürdigkeit von Staaten schwächten nicht nur die betroffenen Staatsanleihen, sondern zeigten auch statistisch signifikante Auswirkungen auf die Stabilität der anderen Länder und der Finanzmärkte.

 

Nicht erwähnt wird bei der Financial Times die Feinheit, dass sie sich auch auf den Markt der Kreditversicherungen auswirken. Weil jedes größere Investment auch mit einer Kreditversicherung abgesichert wird. Aber gut, das ist eine Feinheit, bei der es einem zwar schlecht wird, die aber in diesem Fall nicht so markant ist. Ebenso wenig erwähnt bleibt hier der im IWF-Papier ebenfalls genannte Umstand, dass die aus 2004 datierende Basel II Regelung die Orientierung an Ratings noch mit einbezog. So heisst es in der IWF-Studie:

 

„Indeed, under the 2004 Basel Committee on Banking Supervision (BCBS) capital adequacy framework (Basel II), banks can use ratings assigned by recognized credit rating agencies to determine credit risk weights for their credit exposures.“

 

Auf deutsch heißt das nun wieder soviel wie: Kein Wunder haben Ratings solche Auswirkungen und solch eine Bedeutung – sie wurden ja die ganzen letzten Jahr als Maß für Qualität und Sicherheit anerkannt. Eine durchaus bemerkenswerte kritische Erkenntnis des IWF – die sich aber leider nur auf die EU und Basel II bezieht – und nicht so richtig auf die eigene Denkweise. Naja. Und dennoch kann man sagen: Es häufen sich die Hinweise, dass sich da vielleicht etwas grundlegend neues entwickeln könnte.

 

Neue Strategie: Pfeif drauf!

 

Soviel zum langweiligen Teil: Wirklich markant pointiert die FTD die Interpretation der Feststellung, wie die Europäische Zentralbank und der IWF mit dem Thema Rating am Ende umgehen:

 

„Die EZB hingegen hat ihre Kriterien bereits geändert: Seit Mai 2010 akzeptiert sie griechische Staatsanleihen unabhängig von der Bonitätsnote als Sicherheit für Kredite an Banken. Die IWF-Autoren legen der Politik nahe, diesem Beispiel zu folgen und auf die Urteile von Ratingagenturen künftig zu pfeifen.“

 

Im Originaltext heisst das dann übrigens so:

 

Third, as financial instability may stem from the existence of ratings-based regulations, policy makers should review the appropriateness of using credit ratings in financial markets regulation.

 

Wenn man sich diesen Satz einmal genauer anschaut, dann bedeutet das nach unserer Lektüre aber eben nicht nur: Pfeift doch einfach drauf! Man kann darin auch mehr lesen: Ganz offenbar kann man – wie Einstein uns lehrte - das Problem nicht mit der Denkweise lösen, die es erschaffen hat. Nicht die Ratings müssen hinterfragt werden. Sondern „die Angemessenheit des Gebrauchs von Ratings für die Regulierung“. Ein feiner Unterschied, der die Unzulänglichkeit von Konzepten zeigt, mit dem der ganze Markt reguliert – aber eben nicht wirklich verändert wird.

 

Macht kaputt, was Euch kaputt macht

 

Also: Es fängt an zu brodeln. Erst ganz leise nur. Aber dennoch spürbar. Das zeigt übrigens auch eine Aussage aus dem ebenfalls vom IWF am 9.3.11 vorgelegten Papier „Crisis Management and Resolution: Early Lessons from the Financial Crisis“, das die wichtigsten Ziele nennt:

 

„These include the design of infrastructures to wind down nonbank financial institutions that are of systemic importance and banking organizations that operate across borders and the design of mechanisms to ensure that the losses are borne by the creditors of the institutions rather than by taxpayers (…)“

 

Nach wie vor geht es dem IWF – man kann es ihm nicht verdenken – nicht so wirklich um einen großen Schritt in einer bessere, gerechtere Welt. Zunächst geht es nur darum, sich und die Steuerzahler vor der Gier und dem Mangel an Verantwortung des Systems zu schützen. Die Studie zeigt den Grund: In einer Tabelle wird unter anderem die „Stock market capitalization“ also der Wert des im Kapitalmarkt befindlichen Geldes in Laufe der Krisen zwischen 1991 und 2002 und eben der jetzigen Krise verglichen: Bei den bisherigen Krisen waren das 29% des Bruttoinlandsprodukts der betroffenen Staaten. Bei der jetzigen waren es 102 Prozent. Unendlich viel Geld. Mehr als das, was die Länder an Werten schöpfen. Offenbar ist da etwas deutlich zu groß und trotz aller Berechnungen zu unkalkulierbar geworden. Der Schluss daraus:

 

„Governments need to rethink how to reduce the threat that large financial institutions pose to systemic stability, including through reduced complexity, better capital structures, and, possibly, restrictions on their scope and activities.“

 

Draufhauen kommt – so das Papier des IWF – später. Banken zurechtstutzen, bestimmte Aktivitäten einfach verbieten. Nicht gleich, aber darüber nachdenken sollte man mal schon… recht so!

 

Die Dialektik des Systems

 

Also, wenn das alles nicht so irrsinnig logisch und ernst wäre, müsste man sich kaputtlachen. Resümieren wir das mal eben: Die Politik wollte den effizienten sich selbst regulierenden Finanzmarkt. Als zentrales Feigenblatt der Regulierung wurden Rating-Agenturen akkreditiert. Der Markt machte, was er wollte.

 

Als sich die Banken vor nur wenigen Jahren mit Mortgage Backed Securities Verbriefungen von Krediten (Collateralized Debt Obligations) ihre Bücher von Krediten entlasteten, entstand daraus ein blendendes Geschäft – vornehmlich in Steuer-Oasen wie den Kaiman-Inseln. Dabei trugen sie wissend oder unwissend zum Aufbau des Schattenbankensystems bei. Instanzen, die mit viel Geld große Risiken übernahmen. So beschreibt es auch die Studie des IWF:

 

„Securitization created assets that were packaged, and then re-packaged, into new layers such as collateralized debt obligations (CDOs), and each new layer further spread risks while reducing the clarity of risk exposures. (…)  Credit default swaps led to a separation of credit risks on- and off-balance sheets, and facilitated the concentration of risks in single entities that went undetected. And while nonbanks were a cause of instability in some of the past crises, the role of the shadow banking system in the recent crises was much more important through banks’ use of conduits and collateralized transactions. (…)High interconnectedness in the recent crises was facilitated by innovations, especially securitizations and traded credit derivatives, and the expansion of the role of nonbank financial institutions known as the “shadow banking system.“

 

So war das. Und keiner sagte was. Lass den Markt mal machen. Die Rating-Agenturen vergaben brav ihre Ratings und „sicherten“ die Entscheidungen und das System. Blabla.

 

Im Nachhinein wurde dann auch von der EU und den entsprechenden Institutionen festgestellt: Die Agenturen waren weder personell noch prozentual auf die Bewertung von Produkten wie CDO aufgestellt. Ratings vergaben sie trotzdem.

 

Wie es weiterging, dürfte bekannt sein.

 

Fazit

 

Also nochmal ganz einfach: Das System machte, was es wollte. Der Markt machte Geld, zahlte aber keine Steuern. Die Politik fand das aus ideologischen Gründen gut. Das System kollabierte. Der Steuerzahler wurde – um mit den glänzenden Worten Josef Ackermanns zu sprechen – der „Aktionär der letzten Instanz“. Und jetzt? Jetzt wird es ja vielleicht wirklich Zeit, dass der Kapitalmarkt mit den neuen Regelungen der EU umgekehrt mal zum „Steuerzahler der letzten Instanz“ wird.

 

Das wäre doch auch mal nett. Oder?

 

Aber Obacht: Wenn man das will, dann müsste man einfach mal damit leben, dass es eben auch Pensionsfonds sind, die ihr Geld hier im großen Stil angelegt haben und dann in die Pflicht genommen würden. Und die aufgrund ihrer Vorschriften aus Staatsanleihen raus müssen, wenn sie ein bestimmtes Rating unterschreiten. Eine haarige Angelegenheit, über die es – soweit wir sehen – noch keine wirklich ernsthafte Diskussion gibt. Allemal liegt es im Interesse der Politik und der neuen Regulierungsgremien, hier etwas grundlegend anderes durchzusetzen.

 

Sonst könnte es ja passieren, dass die Steuerzahler selbst keine Lust mehr haben auf Großbanken und auf eine Politik, die nur Großbanken würdigt und die eigentlichen Träger der Finanzierung im Binnenmarkt belastet und ignoriert: Die Sparkassen, die Genossenschaftsbanken – und nicht zuletzt: die eigenen Bürgerinnen und Bürger.

 

Aber warum warten? Vielleicht sollten wir alle wirklich unsere Konten und Aktivitäten aus dem großen Markt abziehen – bei den langweiligen Sparkassen und Genossenschaftsbanken bleiben, ihnen auf die Finger kloppen, wenn sie Dinge tun, die sie nicht tun sollten - und jeden Euro in die Region oder eben in soziale Projekte stecken. Da kann es auch Rendite geben. Nur eben anders.

 

Ja, sicher. Wir sollten aufhören zu träumen und realistisch bleiben. Aber schön wär’s doch, wenn man das gemeinsam mit der Politik machen könnte und nicht alles selbst machen muss, oder? Aber auch der längste Weg beginnt ja bekanntlich mit einem ersten Schritt...

 

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