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Girokonto für jedermann. Oder: Ist Armut systemrelevant?

Arbeitslose, Hartz IV Empfänger sind aus der Sicht von Banken erstmal nur eines: Kunden mit einem negativen Deckungsbeitrag. Das heisst: Sie kosten mehr als sie bringen. Wenn es auf dem Konto eng wird, werden die Konten gern gekündigt. Wie heißt es so schön: „Was Du nicht willst dass, man Dir tu....“ Nach Millardenschulden und ebensogroßen Hilfen vom Staat gewinnt diese einfache Regel besondere Bedeutung. Viele Banken reklamierten das Recht auf Hilfe. Begründet wurde das mit der Systemrelevanz. Wie systemrelevant ist der Anspruch jedes Bürgers auf ein Girokonto?  Von Michael Frewert

Eine aus dem Fernsehen bekannte Geschichte: Ein junger Mann steht an der Kasse eines Supermarktes, seine wenigen Einkaufsartikel liegen vor ihm auf dem Band. Er ist dran. Ein paar Mal piept der Scanner und plötzlich ruft die Kassiererin laut und schrill durch den ganzen Laden: „HELGAAAA!!! WAS KOSTEN DIE KONDOOOMEEEE!!!?!!!“

Hier ist eine live und in Farbe erlebte Geschichte: Ähnlich wie dem jungen Mann ging es wohl auch Frau Brigitte S. aus Freiburg, als sie sich bei ihrer Volksbankfiliale mit Bargeld versorgen wollte. Nach ihren Angaben stand sie am Geldautomaten, während sich hinter ihr eine Schlange bildete. Einer der Bankangestellten begann laut von ihr als Hartz IV- Empfängerin zu reden. Alle Kunden in der Filiale konnten frei mithören. Frau Brigitte S. packte die Scham. Um nicht weiter auffällig zu werden ging sie zum Schalter der Bank, unterzeichnete die ihr dargebotene Kündigung ihres Girokontos und ging. Die Bank wollte zu diesem konkreten Fall keine Stellung nehmen. Aus DATENSCHUTZGRÜNDEN, wie ein Mitarbeiter verlauten ließ. Ist das die Regel oder die Ausnahme?

Wie immer lohnt es sich, ein wenig tiefer zu graben.

 

Kunden mit Staatsgarantie sind bei Banken nicht willkommen


Man sollte annehmen, es handele sich hier um eine Ausnahmeerscheinung. Allerdings berichtete der soziale Verein „Nachbarschaftswerk“ in einem Bericht vom September 2009, dass es immer wieder vorkommt, das Banken ALG II- Empfängern die Neueröffnung eines Girokontos verweigern. Für Betroffene hat das Folgen. Sie müssen persönlich bei der Agentur erscheinen, um sich einen Scheck in der Höhe des ihnen zustehenden Regelsatzes aushändigen zu lassen. Das ist nicht nur umständlich. Sondern auch kostspielig: Anfahrtskosten, Bearbeitungsgebühr der Agentur in Höhe von 2.10 Euro und die Bank erhebt zusätzlich noch ihren „kleinen“ Obolus für die Einlösung des Schecks. Der Betrag variiert von Bank zu Bank. In Anbetracht einer maximalen Summe von 359,- Euro monatlich tut jeder unnütz ausgegebene Euro weh.

 

Die freiwillige Selbstverpflichtungserklärung von 1995

Um zusätzliche Kosten zu vermeiden, sollte man sich an die nächste Erwerbslosen- oder Sozialberatungsstelle wenden und sich mit einem der dort beschäftigten Sozialarbeiter zum nächsten Bankbesuch begleiten lassen und seine Situation sachlich schildern.  Was die wenigsten wissen: Die deutschen Banken haben 1995 eine freiwillige Selbstverpflichtungserklärung (Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses der Deutschen Banken zum Girokonto für jedermann 1995) unterzeichnet, die auch Einkommensschwächeren Gesellschaftsmitgliedern ein Girokonto garantieren soll. Darauf kann man pochen. Moralisch wenigstens.

Eine Empfehlung ist kein Gesetz

Wie sehr haben sich die Banken an ihre freiwillige Selbstverpflichtung gehalten? Die Bundesregierung stellt 2008 trocken fest, dass:

 

„die Situation bei der bankpraktischen Handhabung des Girokontos für Jedermann für die kontolosen Bürgerinnen und Bürger nicht verbessert hat. Das Problem besteht unvermindert fort“ (BMJ, Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses zum Girokonto für jedermann, 2008)

 

Es geht offenbar nicht ohne gesetzliche Regelung. Dabei sollte das schon gehen. Und zwar auf eine Weise, die auch funktioniert. Denn jedes Problem kostet den Staat Geld. Und die Banken verdienen (noch) dran: Auch bei Empfängern von Sozialleistungen, die ein Girokonto besitzen, kommt es oft zu Komplikationen. Durch Bearbeitungsfehler ausbleibende oder verzögerte Zahlungen von Seiten der Bundesagentur für Arbeit kommt es zu Rückbuchungen wie der Miete, Nebenkosten, Telefon oder sonstigen Standartausgaben, die sich im Schnitt mit 12,- Euro niederschlägt. Pro Rückbuchung…Diese anfallenden extra Kosten müssen ALG II- Empfänger auch ohne eigenes Verschulden selber tragen und bekommen hierfür keinen Ausgleich. Das heisst: Die vom Staat zur Verfügung gestellten Gelder fließen nicht dorthin wo sie sollen: Bankgebühren statt Lebensunterhalt der Menschen. Staatliche Sozialleistungen fließen so ohne jeglichen sozialen Nutzen in die Finanzwirtschaft.

 

Beachtlich dabei ist: In einer Studie zu Eigenkapitalrenditen schreibt der Deutsche  Sparkassen- und Giroverband:

 

(Der deutsche Finanzmarkt) bietet allen Bürgern einen Zugang zu Bankdienstleistungen, auch wenn sie in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen leben. Dies bestätigt eine Studie der Europäischen Union („Financial Services Provision and Prevention of Financial Exclusion”, Brüssel 2008). Danach verfügen 95 Prozent der Erwachsenen in Deutschland über ein Bankkonto. „Deutschland zählt, was die Versorgung mit Finanzdienstleistungen angeht, zu den besten EU-Staaten“, erklärte EU-Sozialkommissar Spidla.  Die Studie weist darauf hin, dass sich unter anderem die Sparkassen in Deutschland besonders dafür engagieren, mit ihren Produkten allen Gruppen der Bevölkerung einen Zugang zu Konten und Finanzdienstleistungen zu ermöglichen.  Tatsächlich werden mehr als die Hälfte aller in Deutschland geführten Guthabenkonten – rund 920.000 – für Menschen mit schwierigem finanziellen Hintergrund von den Sparkassen bereitgestellt.

Immerhin: Bei einigen Bundesländern wurde das Recht auf ein Girokonto auf Guthabenbasis in den Sparkassengesetze  und -verordnungen gesetzlich verankert. Mit der Einführung des P-Konto am 1.7.2010 per Gesetz werden die Karten neu gemischt…dazu schreiben wir noch!

 

Die Bundesagentur für Arbeit als perfekte Rating und Treuhand Agentur


Von Seiten der Regierung ist hier nicht die Rede davon Abhilfe zu schaffen. Wenn man ihr Verhältnis zu den Banken im Vergleich zu dem zu ALG II- Empfängern mal näher beleuchtet wird es nur allzu deutlich, wie der Hase läuft. Die Bundesagentur für Arbeit hat bekanntlich im Kampf gegen sogenannte „Sozialschmarotzer“ sämtliche Register gezogen.

ALG II- Empfänger sollen observiert werden und ihre Wohnungen von einem privaten Sicherheitsdienst bis ins letzte Eck kontrolliert werden können. Es ist natürlich erstrebenswert, das staatliche Sozialleistungen ausschließlich bei den Menschen anlangen die bedürftig und somit auf diese angewiesen sind. Deswegen muss man solche Leistungen ja auch beantragen und bekommt sie nicht einfach so auf Anfrage.

Und es wird vorab geprüft. Es muss bis auf das letzte Krümelchen alles dargelegt werden, was an evtl. „Vermögen“ vorhanden ist und die Kontobewegungen- wenn denn ein Girokonto oder Sparbuch existiert, wobei auch vor den für Säuglinge angelegten Geldern kein Halt gemacht wird- der letzten drei Monate. Man erklärt sich per Formular für gläsern. Man muss sich sogar dazu bereit erklären auf einen großen Teil seines Selbstbestimmungsrechtes zu verzichten, wenn man Leistungen erhalten will, bzw. muss. Für die Agentur ist also alles nachprüfbar. Selbst der Aufenthaltsort des jeweiligen Empfängers ist ständig bekannt.

Wer sind wirklich die zu bekämpfenden Sozialschmarotzer?

 

Wenn das alles gründlich und kompetent geprüft wird, sind dann solcherlei Maßnahmen wirklich noch erforderlich? Man betrachte vor allem den Kosten- Nutzen- Faktor. Dann erscheint die Weisung der Bundesagentur für Arbeit doch als sehr unverhältnismäßig.
Vor allem dann, wenn es derzeit um überzahlte Bankvorstände geht, die „fremde“ Mrd. veruntreut haben, dafür auf einen Fingerschnipp hin mit Steuergeldern überschüttet werden und merkwürdigerweise nicht zur Rechenschaft gezogen werden.


Der einzige Effekt, der hier erzielt werden kann, ist jener, die von den Hartz IV- Empfängern- wenn überhaupt- selbst finanzierte Zwangskontrolle, wird sie denn medienwirksam dargestellt, als Ablenkung von den wirklichen, den Riesenskandalen zu nutzen. Denn bis heute hat niemand Verantwortung für die Krise übernommen, weder Politik, Finanzaufsicht noch Banker.  Die Süddeutsche schreibt am 25.05.2010 über die Bagatellisierung der Verantwortung der Banker:

„Wird erstmals ein Ex-Bankvorstand wegen Veruntreuung von Bankvermögen in Milliardenhöhe angeklagt? Auch anderswo wird gegen hochrangige Bankmanager ermittelt, doch am Ende ging es bisher immer nur um Bagatellen… War die Finanzkrise ein ökonomischer Tsunami, also eine Art Naturereignis, oder sind Bankleute im Bewusstsein der sich abzeichnenden Katastrophe pflichtwidrig hohe Risiken eingegangen und haben dabei gegen strikte interne Regeln verstoßen?“

Wenn ALG II- Empfänger generell als potenzielle Sozialschmarotzer angesehen werden, dann können auch die oberen zehntausend als Verantwortliche für die „Bankenkrise“ angegeben werden. Vielleicht sollte man ja hier, grade bei den Bankvorständen, auch mal mit solcherlei Hausbesuchen beginnen. Naja. Bei der HSH wurde das ja wirklich schon gemacht. Die Summe der Kapitalverbrechen, wie es so schön heißt, die in den letzten Jahren stattgefunden haben, sprechen doch eine ganz eigene Sprache und beweist damit, dass Kontrolle hier auf jeden Fall notwendig und mit hundertfünfzigprozentiger Sicherheit weitaus ergiebiger wäre, als bei den Empfängern von ALG II.

Fazit: Sozial ist anders…

 

Die Commerzbank kassierte 18 Mrd an Steuergeldern, aber die Verwendung des Geldes wurde bis heute nicht kontrolliert, genauso wenig, wie bei allen anderen Banken, die derlei „Sozialleistungen“ erhalten haben. Es wird von Seiten der Bundesregierung tatenlos zugesehen, wie die Commerzbank weiterhin mit so genannten Steueroasen Geschäfte macht und so quasi zur Steuerhinterziehung anleitet.

So macht sich die Bundesregierung auf der einen Seite zur Hehlerin der Steuerhinterziehung und der Verprassung von Steuermitteln bei Großbanken, während ALG II- Empfänger auf der anderen Seite so streng kontrolliert werden, als seien sie unter Auflagen auf Bewährung. Selbst die Nachbarn können in Bezug auf die Lebensgewohnheiten oder sonstigem von diesen sozial (gebeutelten) abhängigen Menschen befragt werden. Das ist weder sozial, noch einer Demokratie würdig. Aber vielleicht hat ja die Bundesagentur für Arbeit ja auch nur von den Spitzelaffären bei Telekom, Bahn und Deutsche Bank etc. gelernt?

Wie dem auch sei. Wenn man sieht, welche Summen hier an wen fließen, wenn man bedenkt, dass ein paar „verpuffte“ Mrd. bei Banken und Konzernen schon einmal als „Peanuts“ bezeichnet werden können, so geht es bei ALG II- Empfängern um jeden Cent. Wo bleibt denn da die Relation?

Was können wir tun?

 

Es ist eine gute Idee, hier nicht mehr auf das von den Medien ewig widergekäute Gerede von Sozialschmarotzern zu hören – und stattdessen solidarisch zu sein. Das geht so: Wenn Sie wissen wollen, wie ihre Bank denkt, dann fragen Sie ihren Bankberater einfach

  • ob die Bank eine nennenswerte Anzahl von „Konten für Jedermann“   führt
  • ob die Bank Sonderkonditionen für diese Kontenart hat
  • ob die Bank ein eigenes Verhaltenskodex für die Ärmsten und die Schwächsten hat

Wenn Ihnen die Antworten gefallen, dann bleiben Sie bei Ihrer Bank. Wenn nicht? Dann nicht!

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Kommentare

Kommentare 

+2 # Autor 2011-04-13 09:20
Vielen Dank für diesen Bericht,das was Sie hier vortragen ist mir bewußt und allzugut bekannt.Leider ist es genau das Thema der sozialen Gerechtigkeit ,welches mich seit langer Zeit beschäftigt.Die Problematik ist jedoch weitaus höher,wie Sie es ja selbst wissen.Alle von Ihnen aufgeführten Punkte haben wir respektive ich am eigenen Leib gespürt.
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+1 # Autor 2011-04-13 09:32
Interessant ist aber auch eine Tatsache mit welcher gerade die Sparkasse sehr gerne wirbt.Warum mieten besser kaufen.Recht hat sie aber wie soll es gehen.Ich habe exakt 50Euro zu wenig monatliches Einkommen,obwoh l ich durch einen Kauf die Hälfte meiner derzeit monatlichen Miete an Kreditrate und der Nutzungskosten hätte.
Monatliches Einkommen 1150,-Euro Miete icl.Heizung und Strom 730Euro
Hauskauf 30.000,Euro LBS-Rate 205,-Euro 80 qm Wohnfläche qm/2,-Euro =80,-Euro sind zusammen 365,-Euro. Für Sparkassen kaum oder sehr schwer nachvollziehbar .Leider absolut keine Chance für mich.Nun spinnen Sie mal das Rad ein bischen weiter und dann wird dieser Sozialstaat noch viel problematischer .
Vielen Dank für Ihren Bericht und Ihre Antwort.Ihnen noch einen schönen Tag und eine gute Woche
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